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28.10.2016

Als Christ und Mönchspriester zu Füßen der Pharaonenpyramiden

Auf Einladung der Forschungsstelle Christlicher Orient an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt waren P. Milad Shehata OFM, Direktor des franziskanischen Kulturzentrums (Franciscan Cultural Center Egypt), Gizeh / Kairo, und sein Mitbruder P. Mokles Masri OFM, der Novizenmeister des Ordens in Ägypten, in Eichstätt zu Gast. Das Kennenlernen der Forschungsstelle und der Theologischen Fakultät war u.a. mit einem Gastvortrag von P. Milad zum Thema „Die Präsenz der Franziskaner in Ägypten. Mission und Herausforderung“ verbunden, der am Donnerstagabend, den 27.10.2016, stattfand. Die beiden Franziskaner-Patres waren Gäste der Forschungsstelle und des Collegium Orientale. Rektor Oleksandr Petrynko und Vizerektor P. Franziskus Succar führten mit P. Milad folgendes Interview.

 

 

Lieber Pater Milad, herzlich Willkommen in Eichstätt. Wer sind Sie und und ihr Mitbruder P. Mokles?

P. Milad: Wir beide sind Franziskaner aus Ägypten. Ich persönlich bin seit zehn Jahren Mönchspriester des Franziskanerordens in Ägypten. Derzeit bin ich im Orden für das Kulturzentrum der Franziskaner für koptische Studien in Gizeh zuständig sowie teilweise auch für die Ausbildung im franziskanischen Priesterseminar. Die Hauptaufgabe unseres wissenschaftlichen Zentrums besteht darin, sich für die Bewahrung des christlichen Erbes und der koptischen Kultur einzusetzen und diese in der Öffentlichkeit zu vertreten und wissenschaftlich auszuwerten. Eine meiner weiteren Aufgaben im Orden ist die ständige Formation der Mitbrüder. Für die nächsten sechs Jahre bin ich auch in den Rat des Ordens gewählt worden.

Wie viele Mitglieder zählt derzeit Ihre Provinz im Franziskanerorden?

P. Milad: Wir sind eine Gemeinschaft von 90 Mitbrüdern, darunter zehn Studenten in der philosophisch-theologischen Ausbildung. Im Noviziat befinden sich gerade sechs Mönche. Außerdem betreuen wir eine Gruppe von ca. 15 Interessierten. Dies ist die eigentliche Aufgabe meines Mitbruders P. Mokles. Wir hoffen, dass sich manche aus dieser Gruppe uns im Orden anschließen werden.

Was führt Sie in diesen Tagen nach Eichstätt?

P. Milad: Zwei Mitarbeiter der Forschungsstelle Christlicher Orient, Wolfgang Dickhut und Andreas Ellwardt, waren bei uns in Ägypten zu Besuch aufgrund ihres Interesses an koptischen Handschriften. So entstand der erste Kontakt. Die Forschungsstelle vermittelte eine dreifache Ausstattung für die Digitalisierung von Handschriften. Eine der Kameras haben auch die Franziskaner für ihre wissenschaftlichen Zwecke bei der Arbeit mit Handschriften erhalten. Es wurden bei uns vier Personen im richtigen Umgang mit den Gerätschaften angelernt. Wir bleiben daher in ständigem Kontakt und haben nun die Einladung nach Eichstätt angenommen.

Mit der erwähnten Ausstattung können Sie nun eine der wichtigsten Aufgaben ihres Kulturzentrums erfüllen, nicht wahr?

P. Milad: Ja, das stimmt. Wir sind in der Lage, die koptischen Handschriften, die wir besitzen, zu digitalisieren und auf diese Weise den Forschungszwecken zugänglich zu machen und für kommende Generationen aufzubewahren. Andererseits bewirken solche Digitalisierungsprojekte gute Synergien und Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Institutionen und Klöstern in Ägypten, besonders den koptisch-orthodoxen.

Könnten Sie uns bitte kurz allgemein zu den Christenzahlen in Ägypten etwas berichten?

P. Milad: Es ist nicht einfach von Zahlen zu sprechen. Es gibt große Unterschiede in den Zahlenangaben der Regierung und der Christen selbst. Die offiziellen Stellen sind nicht daran interessiert, die Zahlen der Christen zu veröffentlichen. Der jüngsten Statistik der koptisch-orthodoxen Kirche zufolge beläuft sich die Zahl der Christen in Ägypten auf 12 Millionen. In der Zeit der Revolution vom 25. Januar 2011 sprach man von 20 Millionen Christen in Ägypten, wobei die Zahl wohl unbegründet ist. Die staatlichen Stellen sprechen heute von 8 Millionen Christen im Land. Darunter bilden die Katholiken eine Minderheit von 200.000, alle katholischen Rituskirchen zusammen, wobei die koptisch-katholische die größte katholische Gemeinschaft darstellt.

Als was verstehen Sie und Ihr Franziskanerorden sich in Ägypten? Sind Sie koptisch-katholisch oder römisch-katholisch?

P. Milad: Wir verstehen uns als Ägypter mit franziskanischer Spiritualität. Wir sind birituell, hauptsächlich koptisch-katholisch, wobei wir Gottesdienste und die Seelsorge auch in der römisch-katholischen Tradition betreiben. Alle unsere Priester sind im koptisch-katholischen Ritus geweiht und wirken an mehr als 30 Orten.

Die Präsenz der Franziskaner in Ägypten geht auf das Jahr 1219, auf die Begegnung zwischen dem heiligen Franziskus und dem Sultan Al-Kamil zurück. Die wichtigsten Wirkungsorte waren dann Alexandria und Kairo. Seit 1697 haben wir in Ägypten zwei Gruppen von Franziskanern. Die erste wird der Kustodie im Heiligen Land mit Sitz in Jerusalem zugerechnet. Sie konzentriert sich hauptsächlich im Nildelta, in Kairo und Alexandria. Was diese Gruppe besonders auszeichnet, ist ihr soziales Engagement. Die zweite Gruppe wiederum, zu der auch wir gehören, ist von der Toskanischen Provinz gegründet worden. Wir sehen unseren Auftrag im Bildungsbereich und in der christlichen Ökumene. 1979 hat uns die Kongregation für die Ostkirchen den koptisch-katholischen Ritus offiziell empfohlen und genehmigt, seit 1992 bildeten wir eine Vizeprovinz und seit 2004 sind wir eine selbständige Provinz, die der Heiligen Familie geweiht ist. Zurzeit betreuen wir 32 Gemeinden, drei Waisenhäuser, vier Kliniken und 16 Schulen – vier davon finanziell ganz vom Orden getragen, in denen muslimische Kinder die Mehrheit bilden. Außerdem haben wir ein Priesterseminar am Standort Gizeh bei den berühmten Pyramiden, woher wir heute auch nach Eichstätt kommen. Ferner hat unsere Provinz Missionsstationen im Ausland: Sudan, Libyen, Marokko, in Erbil / Nordirak und in Syrien.

Wie ist es mit der christlichen Ökumene in Ägypten?

P. Milad: Während des ehemaligen koptischen Patriarchen Schenuda III. gab es keine offizielle Zusammenarbeit zwischen den Christen und Kirchen, abgesehen von der Gebetswoche für die Einheit der Christen. Sie bildete die einzige Möglichkeit für eine offizielle Begegnung bzw. war die einzige ökumenische Veranstaltung. Mit dem neuen Patriarchen, Papst Tawadros, sehen die Beziehungen viel besser aus. Auch bei uns auf lokaler Ebene geschieht viel. Nach der Gründung unseres koptisch-katholischen Zentrums kommen jetzt immer wieder koptisch-orthodoxe Mönche zu uns und wir haben vielfältige Kontakte. Man kann eine deutliche Annäherung beobachten. Wir haben auch gemeinsame Veranstaltungen. Zuletzt hat unsere Franziskanergemeinschaft ihre Exerzitien in einem orthodoxen Kloster durchführen dürfen unter Beteiligung der geistlichen Referenten von orthodoxer Seite. Ebenfalls im letzten Jahr, anlässlich des Jahres für das geweihte Leben, haben wir eine gemeinsame orthodox-katholische Tagung mit dem Schwerpunkt „Das gemeinschaftliche Leben im Kloster“ organisiert. Auch jetzt ist eine Tagung in Vorbereitung, die am 2. Dezember stattfinden wird und beiderseits organisiert und beworben wird, zum Thema „Der Heilige Antonius der Große, der Ägypter, und der heilige Franziskus. Ihre Beiträge zur monastischen Tradition der Kirchen“. Es gibt auch andere Verknüpfungspunkte zwischen den koptisch-orthodoxen und franziskanischen Mönchen und Klöstern. Das große laufende Projekt zwischen uns und mehreren orthodoxen Klöstern ist die bereits angesprochene Digitalisierung und Katalogisierung von koptischen Handschriften. Ein konkretes Beispiel ist auch unsere Vermittlung eines Stipendiums für einen orthodoxen Mönch, der zurzeit am Antonianum in Rom studiert. Ich selber gebe auch Liturgievorlesungen am liturgischen Zentrum der koptisch-orthodoxen Kirche.

Wird die Gründung und die Existenz eines solchen koptisch-kulturellen Zentrums der Franziskaner in der ägyptischen Gesellschaft begrüßt? Warum ist so ein Zentrum für Ägypten wichtig?

P. Milad: Bei der offiziellen Eröffnung des Instituts war es auffällig und besonders, dass mehrere Religionen und Konfessionen zusammengekommen waren. Dabei waren vertreten sowohl Professoren der staatlichen Universitäten als auch die hochrangige orthodoxe kirchliche Hierarchie. Viele Studenten, besonders aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich, aus der Richtung Kunst und Architektur haben das Projekt deutlich unterstützt und begrüßt. Die meisten Studenten, die zu uns kommen, sind Musliminnen, was ein besonderes Phänomen ist. Daraus darf man schließen, dass da ein großes Interesse besteht, die koptische, das heißt ägyptische Identität zu entdecken, die verloren zu gehen droht.

Was ist denn das Besondere an der koptischen / ägyptischen Identität?

P. Milad: Wenn man von der koptischen Kultur redet, muss man als Erstes auf die altägyptische oder pharaonische Vergangenheit zurückblicken und dort beginnen. Das ist die Grundlage unseres Denkens und unseres konkreten täglichen Lebens, die sich bis auf den heutigen Tag in der Mentalität, in der Kunst und Architektur und sogar auch in unseren Essgewohnheiten widerspiegelt. Ein deutliches Beispiel dafür ist der koptische Kirchenbau, der von der altägyptischen Architektur klar geprägt und beeinflusst ist. Der Jahrgang 2016 zählt 17 Studierende, darunter acht Studenten von der Kairo-Universität, vier koptisch-orthodoxe Mönche und einen Katholik. An die neue Generation möchten wir diese Idee der ägyptischen Identität weitergeben und sie mit den Studenten wissenschaftlich erschließen und begründen.

Gibt es staatliche Institutionen mit vergleichbarer Zielsetzung in Ägypten? Wenn ja, kooperieren Sie mit ihnen?

P. Milad: Ja, es gibt solche. Die Bibliotheca Alexandrina hat ein Institut für Koptische Studien. Es gibt auch ein Zentrum für islamisch-christliches Erbe an der Fayum-Universität. Es gab eine gute Zusammenarbeit mit diesen beiden Institutionen. Das Problem, das nun aufgekommen ist und warum die staatlichen Institutionen zögern oder vorsichtig geworden sind, ist, dass wir nicht akkreditiert sind. Seitens der Sicherheitsorgane kann es für die Institute zu Schwierigkeiten kommen. Unsere Abschlüsse sind nach wie vor noch nicht anerkannt. In dem Jahr, als die Islamisten die Regierung übernommen haben, wurden alle Verträge zwischen dem Staat und anderen Institutionen gänzlich annulliert. Deshalb ist für sie wichtig, internationale Kooperationen aufzubauen, um auf diese Weise auch die inländische Anerkennung zu steigern. Die staatlichen Behörden betrachten unsere Arbeit leider als Missionierung, was nicht unsere Absicht ist. Die meisten unserer Dozenten sind ja staatlich anerkannte und an den Staatsuniversitäten beschäftigte Professoren. Diese renommierten Professoren sind in alle Projekte, Veranstaltungen und Restaurationsarbeiten involviert und sehen unseren Dienst von innen. Sie arbeiten gerne bei uns, weil wir sehr gute, wenn nicht die besten Arbeits- und Rahmenbedingungen für koptische Studien bieten. Der Staat muss deshalb keine Angst haben. Unser Zentrum ist durch die Zusammenarbeit mit den von ihm akkreditierten Professoren transparent und offen.

Hätten Sie als Direktor des Zentrums drei Wünsche frei, welche wären es?

P. Milad: Ich habe nur einen einzigen Wunsch: die stattliche Anerkennung unseres ägyptischen Kulturzentrums. Wir sind fest daran interessiert, die Angelegenheit voranzutreiben. Wenn dies nicht geschieht, wird es schwierig für den Orden sein, das Zentrum mit seiner wichtigen Zielsetzung zu betreiben.

Woher kommt die Idee für die Gründung eines solchen Zentrums, aus dem Orden oder von außen?

P. Milad: Unser Kulturzentrum für ägyptische Studien ist ein Projekt des Franziskanerordens. Die letzte Generalversammlung des Ordens hat 2012 seine Aufgaben revidiert und drei Ziele formuliert und festgelegt und ihre konkrete Umsetzung erarbeitet. Drei wichtige Entscheidungen wurden dabei getroffen. Das erste war die Sorge um die obdachlosen Kinder und das zweite die Gründung von kleinen Gesundheitszentren, spezialisiert auf Nieren- und Leberkrankheiten, die in Ägypten sehr verbreitet sind. Die dritte Festlegung galt dem Einsatz für die Bewahrung des koptisch-christlichen Erbes, womit auch die Gründung unseres Zentrums 2013 direkt zusammenhängt. Unser Orden konzentriert sich in seinen Aufgaben nun hauptsächlich, natürlich neben der pfarrlichen Seelsorge, in diese drei Richtungen.

Erlauben Sie uns bitte ein paar persönliche Fragen zu Ihrer Mönchberufung? Wie sind Sie Mönch geworden?

P. Milad: In der Stadt Minya, in der ich geboren wurde, ist seit langem der Jesuitenorden tätig. Aber ich bin kein Jesuit geworden. Mir hat das Charisma der Franziskaner und ihre Spiritualität imponiert. Das war der Grund, warum ich Mönch geworden bin. Die Franziskaner organisieren jedes Jahr für Interessierte eine sogenannte franziskanische Woche. In dieser Zeit werden verschiedene spirituelle Themen besprochen. Dabei gehen sie auch in die Wüste zum Meditieren und zum Beten. An einer solchen Woche habe ich im Alter von 21 Jahren einmal teilgenommen und dies hat mich innerlich sehr bewegt. Da hat es bei mir mit der geistlichen Berufung in den Mönchsstand gezündet. Seit dieser Zeit haben mich die Franziskaner gefesselt und ich bleibe gerne bei ihnen bis heute.

Wie erleben Sie als Mönch und Christ die Fürsorge Gottes in Ihrem Leben? Gibt es etwas, wo Sie das Eingreifen Gottes deutlich erfahren? Möchten Sie solche Erfahrungen mit uns teilen?

P. Milad: Beim Propheten Jeremia gibt es einen Vers dafür: Du hast mich, Herr, verführt und du sorgst für mich. Gott hat mich an sich gezogen und er hält mich fest. Nicht nur bei der Arbeit im Kulturzentrum, sondern in allem, was ich tue, erlebe ich Gottes Begleitung. Sein Eingreifen ist für mich ständig spürbar. Ich plane oft, erstelle Pläne und bereite Entscheidungen vor. Aber Gott ist derjenige, der ständig im Hintergrund arbeitet. Für mich ist interessant, dies immer wieder und im Nachhinein zu erleben. Daran habe ich meine große Freude und somit wächst mein Vertrauen in ihn. Unser Leben ist wie die langen Gänge hier im Collegium Orientale. Das Leben eines jeden von uns ist wie ein Gang mit vielen Türen und den dahinter liegenden Zimmern. Hinter jeder Tür gibt es eine Überraschung, die wir nicht kennen, die jedoch Gott bekannt sind. Auch wenn die Türen zu sind und ich eventuell nicht in jedes Zimmer hineingehen werde und muss, denke ich, dass in unserem Leben sich immer wieder die richtigen Türen öffnen. Und es ist nicht schlimm, wenn manche Türen zugehen, zugemacht werden oder vielleicht auch unzugänglich bleiben. Gott weiß, welche Tür im konkreten Augenblick meines Lebens für mich geöffnet und von mir betreten werden soll. Das Wunderbare daran ist für mich, wenn die Türen sich öffnen, wenn sich plötzlich Lösungen anbieten, mit denen ich nicht gerechnet habe. Das ist eine Quelle der Kraft und Ermunterung für mich und ein deutliches Zeichen, dass Gott bei mir ist. Das habe ich auch hier in Eichstätt in den Gesprächen und bei den Begegnungen wieder erleben dürfen.

Herzlichen Dank für Ihren Besuch und für Ihre Zeit mit uns. Gottes Segen für Ihr ägyptisches Kulturzentrum!

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