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01.12.2019

„Das reichlich geschmückte Diadem auf dem Kopf der Erde“ – eine Hl.-Nikolaus-Kirche in Georgien

(op) Das Ziel der aus 46 Personen bestehenden Pilgergruppe von Studenten und Freunden des Collegium Orientale aus Eichstätt war in diesem Jahr das Land Georgien (24.8.-7.9.2019). Für mich als Reiseleiter war dies bereits das vierte Mal, dass ich dieses Land im Kaukasus bereisen durfte.
Auch diesmal durfte in dem dicht bestückten Reisegramm der Besuch der bergigen Region Ratscha im Nordwesten Georgiens nicht fehlen. Es waren tatsächlich mehrere Gründe, warum unser Weg auch dahin führte. Zum einen ist dort ein ehemaliger Kollegiat, Teimuraz Grdzelishvili, als Staatsbeamter für die Fragen der Infrastruktur zuständig; ihm wollten wir auf seine freundschaftliche Einladung hin einen Besuch abstatten. Ferner verlockt diese bezaubernde Region Einheimische und Touristen auch durch ihre vielen Seen, darunter das Shaori-See, zahlreichen Bergflüsse und dichtbewaldeten Bergen. Doch der eigentliche Grund war für mich – und wird es wohl immer bleiben – ein Kulturdenkmal, von Menschen erbaut, eine Kirche mit vielen kaum allein von Menschenhand ausgeführten Merkmalen.
In dem kleinen Städtchen Nikortsminda (= St. Nikolaus), 14 km in süd-westlicher Richtung von Ambrolauri gelegen, besichtigte unsere Pilgergruppe die dortige gleichnamige Kathedralkirche „Nikortsminda“.
Diese Kirche zu sehen gehört für mich persönlich zu einem der Höhepunkte unserer gesamten Georgienreise. Für jeden kirchlich interessierten Touristen bzw. Pilger würde ich den Besuch dieser Kirche aufs Herzlichste empfehlen (für größere Gruppen muss man mehr Zeit einplanen!).
Die heutige Bischofskirche wurde, wie aus der Überschrift des westlichen Portals hervorgeht, in den Jahren 1010/14 unter König Bagrat III. im Grundriss als Kreuz-Kuppel- Kirche erbaut und im Laufe der Geschichte mehrmals umgebaut und renoviert: Im 11. Jh. erhielt die Kirche ihr südliches und westliches Nebenschiff; König Bagrat III. von Imeretien renovierte sie ab dem Jahr 1534; aus diesem und dem folgenden Jahrhundert stammen auch die wunderbaren und relativ gut erhaltenen Fresken auf den Innenwänden des Fünf-Apsiden-Baus. Zuletzt wurde die Kirche im 18. Jh. renoviert; der dreistöckige Glockenturm in der Nähe der Kathedrale stammt aus dem 19. Jh. Die massive Kuppel ist befestigt auf fünf Halbsäulen und seine zwölf schmalen und hohen Fenster lassen dezent Außenlicht in den Kirchenraum ein und machen die Kirche so, natürlich unterstützt durch die vollständig ausgemalten Innenwände, zu einem meditativen Raum des Gebetes und der Nähe Gottes.
Wir durften einige Lieder auf Georgisch singen und damit uns selber und mehreren georgisch-sprachigen Besuchern eine Freude bereiten.
Der Altarraum ist ebenfalls voll ausgemalt; der Altartisch ist mit einem hölzernen und ebenso ausgemalten Baldachin überdacht. Die Kirche ist verständlicherweise dem heiligen Nikolaus geweiht, anderes kann man ja in einer Ortschaft mit dem Namen St. Nikolaus nicht erwarten. Somit beherbergt die Kirche mehrere Ikonen und Fresken ihres Patrons, des Wundertäters von Myra. 
Bei all der Fülle des bisher Gesagten über die Kirche ist jedoch das eigentlich Bewundernswerte noch nicht angesprochen: Dies sind die wunderschönen und zahlreichen Ornamente und Figuren, in Steine gemeißelt, als Außenverzierung der Kirche. Besonders diese Steinmetzarbeiten und die figürlichen Fassadenreliefs machen die Kirche in Nikortsminda zum Meisterwerk der georgischen Architektur und Steinornamentik. Das menschliche Auge kann sich an der Schönheit dieser Kirche nicht sattsehen. Vor den glatt und meisterhaft bearbeiteten und unglaublich zahlreichen Ornamenten und Arkaden kann man Stunden verbringen. Besonders qualitätsvoll und in ihrer Ausführung unübertrefflich fand ich die Einzeldarstellungen und einzelne Relieffiguren aus der Bibel und auch Motive weltlicher Folklore. Neben den Darstellungen der Verklärung, der zweiten Ankunft und der Himmelfahrt Christi sowie des heiligen Georg mit dem niedergeschmetterten Diokletian finden wirkliche und erdachte Tiere ihren Platz.
An verschiedenen Stilen der Ausführung ist zu sehen, dass hier mehrere Künstler am Werk waren. Möglicherweise wird dadurch auch die künstlerische Freiheit der damaligen Zeit verraten. Wahrscheinlich erreicht und manifestiert die kirchliche Steinmetzkunst in Georgien gerade in Nikortsminda ihren Höhepunkt. Nicht umsonst hat der georgische Dichter Galaktion Tabidze (1892-1959) diesem Kulturdenkmal sein Gedicht „Das Hohelied für Nikortsminda“ gewidmet. In diesem bringt er zum Ausdruck, dass ein Besucher vor dem überwältigenden Antlitz der Nikortsminda-Kirche einfach sprachlos wird. Der unbekannte Architekt und Meister dieser Kathedrale, so schreibt Tabidze (nach russ. Übersetzung), „muss mit Gott, dem Schöpfer, per ,Du‘ gewesen sein“, dass Er ihn mit den Fähigkeiten ausstattete, die ihm erlaubten, gleichsam „das reichlich geschmückte Diadem auf dem Kopf der Erde“ zu erbauen, nämlich die Kirche von Nikortsminda.
Hier zwei Strophen in Prosaübersetzung:
„Wie die Abrundungen einer Lyra sich ineinander verflechten
und wie der Schießbogen sich wunderbar spannt,
so folge ich stumm deinen Arkaden in Erwartung eines Wunders;
doch muss mein unwürdiges Gedicht sterben, bevor es geboren wird.
Denn wenn jemand den Höhenglanz erreicht hat,
dann ist es derjenige, der dich erbaute,
du, Kirche von Nikortsminda.

Der Steine Geflecht fordert des Auges Stern danach zu fragen:
Kann denn jemand einen Felsen besticken und ausbügeln,
gleich einem Musikstück, in dem die Töne zueinander passen?
Und die Antwort wäre: Dem ist es gelungen,
der die Trümmer der Felsen verwandelte
in die Kirche von Nikortsminda …“

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(zuerst veröffentlicht auf: weitblick.bistum-eichstaett.de)