Zum Inhalt springen
17.02.2021

Ein Pfarrer auf Mission in Estland

Im Interview gibt uns der katholische Militärpfarrer Dr. Petro Stanko einen Einblick über seinen Weg zum Glauben, seine Arbeit als Seelsorger für die Angehörigen der NATO-Mission „Verstärkung Air Policing Baltikum“ (VAPB) und die Tatsache, dass er als katholischer Pfarrer verheiratet und Vater von drei Kindern ist

In seiner Wahl-Heimat Ingolstadt ist der 41-jährige Militärpfarrer für die Katholische Militärseelsorge verantwortlich. Seit Mitte Januar dieses Jahres unterstützt er allerdings das 3. Einsatzkontingent der NATO-Mission VAPB in Estland und begleitet das Taktische Luftwaffengeschwader 74 aus Neuburg.

Bereits zuvor war er für die Soldaten ein wichtiger Bezugspunkt, in der 14-tägigen isolierten Unterbringung vor der Mission. Der gebürtige Ukrainer hat diese selbst erlebt und weiß, welche Bewährungsprobe es bereits vor der eigentlichen Aufgabe zu bewältigen gab. Auf die Dauer in einem kleinen Hotelzimmer sein zu müssen, mit nur einem kurzen täglichen Ausgang von einer Stunde, kann eine Belastungsprobe sein. Gerade in der schnelllebigen und lauten Gesellschaft ist das doch für den einen oder anderen eine ungewohnte Situation. Bereits hier konnte Militärpfarrer Stanko den Soldatinnen und Soldaten zur Seite stehen und leistete unter anderem über sein Zimmertelefon seelischen Beistand.

Hauptmann Florian Herrmann:  Herr Pfarrer, wie haben Sie überhaupt den Weg zum Glauben gefunden?

Militärpfarrer Dr. Petro Stanko: Im Grunde von klein an, denn ich bin in der Westukraine geboren und aufgewachsen, dort hat man schon immer eine sehr enge Dorfgemeinschaft gepflegt. In einer Region, in der die Menschen nicht viel besitzen und trotzdem immer bereit sind, das Wenige zu teilen, kam ich schon früh mit den Tugenden des Teilens und der Wertschätzung des Gegenübers in Berührung.

Außerdem müssen Sie bedenken, dass dies eine Zeit war, in der es durch den Kommunismus viele Restriktionen gab und die Kirche mehr kontrolliert existieren durfte, als dass sie wirklich erlaubt war. Der Glaube überlebte in den Familien, wir hatten sonst keinen Ort, unseren Glauben offen auszuleben. Er wurde über Generationen weitergeben vor allem über die Großeltern. Ich kann mich an unseren damaligen Dorf-Pfarrer gut erinnern, er war ein großes Vorbild für mich.

Herrmann: Welche Rolle spielte denn dieser dortige Pfarrer?

Dr. Stanko:  Der orthodoxe Pfarrer, der dort geduldet wurde, war für uns Kinder immer da, ein warmer Platz in der Kirche an kalten und dunklen Tagen, bis hin zu kleinen Überraschungen an den Feiertagen. Das damalige Regime ließ unseren katholischen Glauben nicht zu und war strikt vom KGB überwacht. Wir mussten kreativ sein um, unseren Glauben an Gott zu praktizieren.

Der Glaube verkörperte, mehr noch: er bedeutete für uns in dieser Zeit Freiheit und auch Widerstand. Auch in den Jahren danach wurde ich durch diese Situation - man kann fast sagen: durch diesen Kampf für die Freiheit geprägt. Die Wende kam, das alte System wurde in Frage gestellt, die Menschen setzten gemeinsam ein Zeichen, um für etwas Besseres einzustehen. All das hat mich berührt, und der Glaube an Gott wurde meine Berufung.

Herrmann: Wie lange sind Sie schon in Deutschland?

Dr. Stanko:  Ich habe mein Theologiestudium bereits in der Westukraine abgeschlossen. Im Jahr 2003 führte mich mein Weg nach Deutschland, um hier zu promovieren. Doch zuallererst musste ich die neue Sprache erlernen, was eine große Herausforderung für mich war. Anschließend promovierte ich an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt in Theologie.

Herrmann: Wie kamen Sie danach in Berührung mit der Bundeswehr?

Dr. Stanko:  Als Übersetzer und noch Student an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt begleitete ich meinen ukrainischen Bischof, der auch gleichzeitig Militärbischof in der Ukraine ist, einmal jährlich zu Konferenz der Deutschen Militärseelsorge nach Berlin. Hier ist die Idee entstanden, einen Austausch innerhalb der deutschen und ukrainischen Militärseelsorge zu organisieren. Das war sozusagen mein erster Berührungspunkt.

Herrmann: Wie lange sind Sie schon Militärpfarrer?

Dr. Stanko:  Seit dem Jahr 2015 bin ich als Militärpfarrer tätig. Mein Büro habe ich in der Pionierkaserne „Auf der Schanz“ in Ingolstadt. Neben Ingolstadt bin ich auch für die Standorte Manching, Münchsmünster, Erding und Freising zuständig.

Herrmann: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sehen Sie zwischen der Ukraine und Estland?

Dr. Stanko:  In der Ukraine haben das Leben und der Alltag viele Facetten. Vieles ist durch die Weitläufigkeit des Landes bestimmt. Die Menschen müssen einerseits viel größere Distanzen bewältigen als etwa in Estland. Hier wie dort ist der Alltag aber stark geprägt durch kleine Gemeinschaften, die Familie oder die Dorfgemeinschaft, in der man einander viel hilft und unterstützt.

Estland ist jedoch im Vergleich zur Ukraine sehr klein, auch ist es längst nicht so bevölkerungsreich. Als Land zwischen Zentraleuropa, den skandinavischen Ländern und dem großen Russland wurde es über viele Jahrhunderte abwechselnd von den verschiedenen umliegenden Großmächten einverleibt und weitergereicht. Die Esten erleben nun aber seit der politischen Wende 1991 die erste wirkliche Unabhängigkeit und Freiheit von diesen Mächten um sie herum. Das ist etwas, was sie mit der Ukraine gemein haben. Darauf sind die Menschen hier sowie auch in der Ukraine sehr stolz.

Man kann also sagen, Estland als Land hat einen ähnlichen Weg in die Freiheit beschritten, wie viele Menschen in meiner Generation und ich sicherlich auch.

Herrmann: Was unterscheidet Deutschland von den beiden anderen Staaten?

Dr. Stanko:  Was mir in meiner neuen Heimat und insbesondere in Bayern sehr gefällt, ist die Struktur und die Ordnung. Auch hat Bayern neben der wunderschönen Landschaft sehr viele kulturelle Möglichkeiten. Es gibt kleine Feste die über das Jahr verteilt sind und auch den Zusammenhalt der Menschen vermitteln, den ich so wichtig finde. Es ist eine andere Kultur in Deutschland, mit vielen auch sehr lokalen Bräuchen.

Wissen Sie, es gibt keinen Platz auf Erden, wo alles „gut oder besser“ ist. Man steht dort ganz sicher vor anderen Herausforderungen die im ersten Moment nicht offensichtlich sind. Die man allerdings genauso bewältigen kann wie die Herausforderungen zuvor, z. B. eine neue Sprache zu lernen und sich ein neues Arbeitsumfeld zu erschließen. Natürlich gibt es auch viele Dinge, die besser sind, das fängt bei den Straßen und der modernen medizinischen Versorgung an, und das hört bei vielen kleinen Annehmlichkeiten des Alltags auf. Ich lebe in der schönen Stadt Eichstätt und fühle mich mit meiner Familie sehr wohl. Der heilige Bonifatius sowie der angelsächsische Missionar Willibald waren nicht einheimische, haben aber auch eine „neue“ Heimat gefunden und sind Glaubensboten in Deutschland geworden.

Herrmann: Nun haben Sie als ukrainisch griechisch-katholischer Priester auch einige Besonderheiten. Sie sind verheiratet und haben drei Kinder.

Dr. Stanko:  Meine Heimatkirche ist seit 1589 eine Teilkirche der römisch-katholischen Kirche. Sie untersteht deren Jurisdiktion, folgt aber dem byzantinischen Ritus in der Liturgie und der geistlichen Praxis. 1945 wurden unsere unierte Kirche durch sowjetische Behörden mit der orthodoxen Kirche zwangsvereinigt. Tausende Priester und Ordensangehörige wurden verfolgt und ermordet. Alle Bischöfe wurden inhaftiert. Erzbischof Slipyj, Chef unserer Kirche war 1945 verhaftet und nach Sibirien deportiert. Er kam erst 1963 frei. Seine Freilassung hatte Papst Johannes XXIII erwirkt. Meine Kirche hat mit Blut und Widerstandsbewegung ihre Treue zur Katholischen Kirche bezeugt. Deswegen bin ich ein stolzer katholischer Priester!

Eine Besonderheit in unserem Ritus ist, dass Priesteramtskandidaten vor ihrer Diakonenweihe heiraten dürfen. Ein Beispiel aus der Bibel möchte Ihnen dazu gern geben. Im Brief des Apostels Paulus an Timotheus im 3. Kapitel wird beschrieben, wie Bischöfe und Diakone handeln sollten. Dort heißt es: „Wer das Amt eines Bischofs anstrebt, der strebt nach einer großen Aufgabe. Deshalb soll der Bischof untadelig, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen sein, von würdiger Haltung, gastfreundlich, fähig zu lehren; er sei kein Trinker und kein gewalttätiger Mensch, sondern rücksichtsvoll; er sei nicht streitsüchtig und nicht geldgierig. Er muss seinem eigenen Haus gut vorstehen, seine Kinder in Gehorsam und allem Anstand erziehen. Wenn einer seinem eigenen Haus nicht vorstehen kann, wie soll der für die Kirche Gottes sorgen? …“ An diesen biblischen Anforderungen halten wir in unserer Kirche, in alter Tradition treu fest. Dass dies heutzutage keinesfalls grundsätzlich unvereinbar mit der römisch-katholischen Kirche ist, zeigt sich darin, dass ich heute katholischer Militärseelsorger in Deutschland sein darf. Durch die Tatsache, dass meine Frau und meine Kinder zuhause in Deutschland sind, verstehe ich umso mehr, was unsere Soldatinnen und Soldaten - gerade auch in Zeiten der Trennung etwa während Lehrgängen oder Auslandseinsätzen - durchmachen müssen, und welche Belastung dies auch für diejenigen bedeutet, die zu Hause warten.

Herrmann: Wie empfinden Sie Ihren Einsatz hier in Estland?

Dr. Stanko: Dieses Jahr ist diese Zeit stark durch die COVID19-Pandemie geprägt. Gerade in Zeiten der weltweiten Krise ist der Zusammenhalt untereinander besonders gefragt. Das Leben um uns herum ist langsamer und stiller geworden. Diese Stille macht es nicht immer einfacher, für manch einen ist diese Stille nur schwer zu ertragen. Dafür bin ich dann hier vor Ort, um die Soldatinnen und Soldaten zu unterstützen, ihnen zuzuhören und Ihnen Kraft zu schenken. Im Vergleich zu meiner ersten Mission in Estland im Jahr 2018 ist die aktuelle Situation heute fordernder, da die vielen Regularien bezüglich der Pandemie-Bekämpfung zusätzliche Kraft fordern. Diese sind aber leider in Anbetracht der immer noch zu hohen Zahlen durchaus angebracht. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich bei dieser Mission als Militärseelsorger dabei sein darf.

Man darf auch nicht vergessen, dass die Kameraden bereits vor dem eigentlichen Einsatz vierzehn Tage in einer isolierten Unterbringung verbracht haben. Das heißt, bis auf eine Stunde täglich bei ihrem Ausgang, waren sie 23 Stunden komplett allein. Getrennt von Familie, Heimat und auch von der Außenwelt. Dies war notwendig, um sicherzustellen, dass der Virus in unserer Einheit keinen Einzug erhält und wir es womöglich weitertragen - aber es hat die Mission für viele nicht einfacher gemacht.

Herrmann: Wie bringen Sie sich hier in Estland ein?

Dr. Stanko: Es ist mir eine besondere Freude, wenn ich im Alltag kleine schöne Momente zusammen mit den Soldatinnen und Soldaten erleben kann und unter ihnen Zeit verbringe. So habe ich mehrere Andachten gehalten und mehrere Seminare (sog. „Lebenskundliche Unterrichte“) abgehalten. Das alles trägt auch in gewisser Weise dazu bei, dass in der Gemeinschaft die Zeit schneller vergeht. Sie dürfen sich den Aufgabenbereich auch nicht so starr religiös vorstellen, hier ist es egal, ob jemand jüdischen, muslimischen oder christlichen Glaubens ist. Man versucht, den Alltag der Soldatinnen und Soldaten um sich herum etwas besser zu machen, egal welcher Glaubensrichtung diese angehören. Das schätze ich hier auch sehr, ich kann täglich kleine Zeichen setzen, und wenn es so etwas Einfaches ist, wie mit einem Lächeln durch den Tag zu gehen. Ich bin da, wenn ich gebraucht werde, und ich stehe jederzeit auch als Ansprechpartner zur Verfügung, bei Tag und Nacht. 

Herrmann: Warum habe Sie als Pfarrer eine Uniform bei dieser Mission an?

Dr. Stanko:  Der Militärgeistliche trägt keine Uniform, sondern Schutzbekleidung, die ihn als Angehöriger der Bundeswehr auf ihren Missionen als besonders geschützten „Nichtkombattanten“ wie etwa die Sanitäter erkennbar macht. Papst Franziskus sagte einmal: „... dass die Hirten den Geruch der Schafe haben müssen". Militärpfarrer soll das Leben der Soldatinnen und Soldaten so kennen, wie es im Alltag ist, mit allen Seiten, den entspannten und den stressigen. Der Seelsorger begleitet in Schutzbekleidung alle Soldaten auf dem Flugplatz, unter freiem Himmel, bei Sonne und Wind, bei guten und schlechtem Wetter. Und wenn es schmutzig oder stressig wird, alle schwitzen und nach Schweiß riechen, soll der Pfarrer keine Ausnahme sein. Wenn der Militärpfarrer sich bei der Übung bequemere Kleidung wünscht, dann ist er meiner Meinung nach kein guter Hirte.

Herrmann: Worauf freuen Sie sich denn, wenn Sie bald wieder zurück nach Deutschland kommen?

Dr. Stanko:  Am meisten freue ich mich natürlich auf meine Familie und das eigene Zuhause. Heimat ist für mich nicht nur ein Ort, an den man gern ist, weil einem die Landschaft gefällt, sondern man voll und ganz verwurzelt ist, eine Aufgabe dort hat.

Mein Standort ist das Ausbildungszentrum der Pioniere und das Gebirgspionierbataillon 8 in Ingolstadt, der Übungsplatz in Münchsmünster, die Radaranlage in Freising, aber auch die Luftwaffeneinrichtungen in Erding und Manching. Überall dort warten auch meine täglichen Aufgaben auf mich und ich freue mich auch auf meine dortigen Soldatinnen und Soldaten, die ich dort bzw. von dort aus betreue.

 

Abschließend hält Pfarrer Stanko fest, dass er viel Dankbarkeit und Freude empfinde für die Aufnahme, welche ihm bei dieser NATO-Mission sowie im täglichen Dienst in Deutschland entgegengebracht wird. Bei all den Begegnungen mit Soldatinnen und Soldaten hatte er nie den Eindruck, als Fremder das fünfte Rad am Wagen zu sein, sondern als Kamerad in deren Mitte angekommen zu sein. Im Glauben vereint zu sein, ist das, was zählt.

 

Fotos: Bundeswehr/ VAPB PAO

(zuerst veröffentlicht: Bundeswehr/ VAPB PAO / www.donaukurier.de)