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18.12.2019

Geburt Christi: HEUTE beginnt alles!

(ik) Sehr oft sprechen wir im Alltag das Wort „Heute“ aus. Die Verwendung dieses Wortes bezieht sich in vielen Fällen auf den Menschen selbst; das Ausgesprochene hat etwas mit uns Menschen zu tun, mit unserer Tätigkeit, mit unserem Vorhaben. Wir sagen z. B.: Heute möchte ich auf den Adventsmarkt gehen; heute werde ich in meinem Leben etwas Neues beginnen, einen neuen Schwerpunkt setzen. Bei all den Vorhaben spielt die Willensstärke des Menschen eine große Rolle. Hat er Mut und Tatkraft das umzusetzen, was er beabsichtigt? Ganz anderes als bei den Menschen ist es bei Gott. Wenn er etwas will, dann geschieht es (Gen 1-2). Das „Heute“ des Menschen unterscheidet sich grundlegend von dem „Heute“ Gottes.

Im Alten Testament begegnen wir sehr oft dem Wort „Heute“ und zwar in den beiden Bedeutungen: profan und theologisch.[1] Das Wort „σήμερον“ („Heute“) eröffnet eine neue Wirklichkeit, eine neue Heilszeit (Dtn 30,15-20). Im göttlichen „Heute“ kommt das Entscheidende ans Licht. Das „σήμερον“ bedeutet auch die Erfüllung des Verheißenen (Dtn 5,3), die Offenbarung (Gen 22,14). Im AT war es klar, wenn das „Heute“ verwirkt wird, ist die ganze Existenz des Menschen bedroht oder gar verwirkt (Gen 4,14). Was „Heute“ von Gott als Wort an die Menschen ergeht, will ernst genommen und ein Teil des Menschen werden. Das göttliche „Heute“ beinhaltet die Vergangenheit und blickt hoffnungsvoll in die Zukunft, bis in die Ewigkeit. Mit dem göttlichen „Heute“ ist stets die Zeit nach einem Eingreifen Gottes (durch Wort oder Tat) gemeint, das eine neue Zeit für die betroffenen Menschen einläutet bzw. ermöglicht (Dtn 26,16-19).

Diesen Gedanken möchte ich gerne aufgreifen und auf das Neue Testament, genauer gesagt, auf das Lukasevangelium anwenden. Für Lukas wird „σήμερον“ fast zu einem Evangelium-Programm. Dieses Programm zeigt sich zumindest an drei markanten Stellen, an denen die neue Wirklichkeit zum Tragen kommt:

Erstens: Der Verbrecher am Kreuz bittet Jesus seiner zu gedenken, wenn er in sein Reich kommt. Erstaunlicherweise sagt Jesus zu ihm: „Heute („σήμερον“) wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Somit kommt der reuige Verbrecher als erster mit Jesus ins Paradies. Für ihn beginnt mit dem von Jesus gesprochenen „σήμερον“ die neue Wirklichkeit, eine neue Zeit, nämlich das ewige Leben.

Zweitens: Der Zöllner Zachäus in Jericho will Jesus sehen, deswegen klettert er auf einen Maulbeerbaum. Und was wird ihm gesagt: „Zachäus, kommt schnell herunter! Denn ich muss (göttliches δεῖ) heute („σήμερον“) in deinem Haus zu Gast sein“ (Lk 19,5). Nach dem Bekenntnis zu Jesus, er nennt ihn ja „Herrn“, und nach der Reue des Zachäus, spricht der göttliche Gast: „Heute („σήμερον“) ist diesem Haus das Heil geschenkt worden […]“ (Lk 19,9). Ebenso wie für den Verbrecher neben Jesus am Kreuz beginnt für Zachäus die neue Wirklichkeit, die Heilszeit. Sowohl der eine als auch der andere haben es nicht versäumt, in dem entscheidenden Moment der Begegnung mit dem Herrn zu agieren; Für sie wird diese Begegnung ein entscheidendes Ereignis, das ihre Zukunft fundamental beeinflusst.

Es gibt noch eine dritte Stelle im Lk, wo das Wort „σήμερον“ vorkommt. Diese Stelle ist eigentlich das für die Menschheit wichtigste „göttliche Heute“:  Es ist die Erzählung von der Geburt Jesu.

Als Jesus geboren wurde, bringt der Engel des Herrn den Hirten auf dem Feld die frohe und wichtige Botschaft. „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, […] Heute („σήμερον“) ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lk 2,9-11).

Mit „Heute“ beginnt eine neue Wirklichkeit, die Erlösungszeit nicht nur für die Hirten, sondern für jeden gläubigen Christen.

Wie ein roter Faden zieht sich der Gedanke vom „Heute“ auch durch die Werke der Kirchenväter. Besonders, was die großen Kirchenfeste, Ostern, Theophanie oder Geburt des Herrn angeht, sprechen sie immer wieder von Aktualität und Bedeutung des Festes für heute. Somit ist die Geburt Christi nicht das vergangene Ereignis, das damals stattgefunden hat, sondern die Geburt Christi ist aktuell und geschieht „Heute“, hier und jetzt.

Gregor von Nazianz (†390) war sich dieser Aktualität bewusst, darum wendet er sich an die Christen seiner Zeit mit den Worten: „[…] Der Erlöser, […] wird geboren in einer armseligen kleinen Herberge. Ehren wir dies Geheimnis! […] Jetzt freuen sich die Engel, jetzt werden die Hirten von Licht umstrahlt, jetzt geht im Osten der Stern auf, um dem größten und unzugänglichen Lichte entgegenzueilen, jetzt fallen die Magier unter Darbringung von Geschenken nieder, erkennen den König der Welt, schließen aus dem erschaffenen Stern mit Recht auf den himmlischen. Jetzt rast Herodes und mordet die Knäblein […]. Wir wollen uns denen anschließen, welche ihn anbeten.“[2] Das ist unser Fest, das feiern wir heute: das Kommen Gottes zu den Menschen, damit wir zu Gott kommen […]. In Adam sind wir gestorben, aber in Christus leben wir, indem wir mit Christus geboren, gekreuzigt, begraben werden und mit ihm auferstehen[…]. Christus wird geboren: verherrlicht ihn! Christus kommt vom Himmel: geht ihm entgegen! Christus erscheint auf Erden: erhebet euch! Singt dem Herrn alle Lande!“[3]

Auch Leo der Große (†461) wird nicht müde, die Aktualität der Geburt Christi als das Heilsereignis zu betonen, das jetzt und heute den Gläubigen zuteilwird. „Heute ging der Schöpfer der Welt aus jungfräulichem Schoß hervor. Heute wurde er, der allem Lebenden das Dasein gab, der Sohn derer, die er erschaffen hatte. Heute erschien das Wort Gotte mit unserem Fleisch umkleidet. […] Heute lernten die Hirten durch Engelstimmen den Erlöser kennen […]. Heute wurde vor jenen Männern, die die Art, wie das Evangelium verkündigt werden soll, im Voraus festgesetzt, so dass auch wir mit den himmlischen Heerscharen ausrufen: ‚Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind!‘ […] Wenn wir die Menschwerdung unseres Erlösers anbeten, feiern wie offenbar den Beginn unseres eigenen Lebens.“[4]

Im Hinblick auf die Bibel und auf die Kirchenväter lässt sich zusammenfassend sagen. Das Weihnachtsfest, also die Geburt Christi soll zuallererst im Herzen jedes Menschen vollzogen und gefeiert werden. „Die Mutter Maria hat [das Kind Jesus] im Schoße getragen, tragen wir ihn im Herzen.“[5] Eilen wir zu der Krippe, um Gott und Heiland, und letztendlich, wie es Leo der Große formulierte, unserem Leben zu begegnen. „Jetzt“ und „Heute“ beginnt alles. Das „σήμερον“ muss ernst genommen und darf nicht verpasst werden. Mit dem ostkirchlichen Stichiron zur Weihnachtsvesper vom 24. Dezember, die dem Patriarchen von Konstantinopel Anatolios (†458) zugeschrieben wird, möchte jede und jeder über das Weihnachtsfest sich erfreuen und dem Herrn lobsingen:

„Was sollen wir Dir darbringen, Christus,

da Du auf Erden um unseretwillen als Mensch erschienen bist?

Jedes Geschöpf bringt Dir unseren Dank dar:

Die Engel den Gesang, die Himmel den Stern,

die Magier die Gaben, die Hirten das Staunen,

die Erde die Höhle, die Wüste die Krippe,

wir Menschen aber die Mutter-Jungfrau.

Der Du vor allen Zeiten Gott bist, erbarme Dich unser!“

 


[1] Vgl. E. Fuchs, Art. σήμερον, in: ThWNT VII, 269-274.

[2] Greg. Naz. Reden XIX,12, in: Bibliothek der Kirchenväter I, Band 59, München 1928.

[3] Greg. Naz., Über die Geburt Christi I,4-6, in: Texte der Kirchenväter 2, München 1963, hier 176f.

[4] Leo d. Große, Predigt 26,1-2, in: Texte der Kirchenväter 2, München 1963, hier 175f.

[5] Aug. Homilie über die Geburt des Herrn 189,3, in: Texte der Kirchenväter 2, München 1963, hier 179.