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05.05.2012

Einige Gedanken zur Heilig-Rock-Ikone von Pfr. Dr. Thomas Kremer

In der vorletzten Woche der Heilig-Rock-Wallfahrt ist nun ein Werk fertiggestellt worden,
das in ganz besonderer Weise die theologischen Gedanken der Wallfahrt bündeln möchte: die
Ikone „der Heilige Rock zu Trier“.

Die Idee, eine solche Ikone zu schaffen, ist die Frucht freundschaftlicher Beziehungen
mehrerer Trierer Diözesanpriester zum Collegium Orientale in Eichstätt. Das Collegium
Orientale ist ein Priesterseminar für Seminaristen der verschiedenen katholischen, orthodoxen
und altorientalischen Ostkirchen. Derzeit stellen die Angehörigen der Ukrainisch Griechisch-
Katholischen Kirche und der Georgisch-Orthodoxen Apostelkirche die beiden größten
Gruppen dar. 1998 als Einrichtung der Diözese Eichstätt errichtet und von den deutschen
Diözesen und katholischen Hilfswerken unterstützt, konnte es in den 14 Jahren seines
Bestehens bereits zahlreichen Seminaristen ein Diplom-, Lizentiats- oder Promotionsstudium
an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ermöglichen. Das Collegium Orientale ist
eine international und interkonfessionell ausgerichtete ökumenische Einrichtung. Es sagt von
sich selbst: „Studierende aller orientalischen Schwesterkirchen sind eingeladen, miteinander
zu studieren, zu beten und zusammen zu leben, damit in einem offenen Miteinander die
Kenntnis und das Gespür füreinander wachsen kann.“ Neben dem Grundanliegen einer
soliden wissenschaftlichen Ausbildung und der Förderung kompetenter Gesprächspartner
für den interkonfessionellen Dialog heißt das Collegium Orientale – insbesondere zu den
Gottesdiensten – gerne Gäste willkommen, die sich für die Theologie und Spiritualität
der orientalischen Kirchen interessieren; es ist ein Ort orientalischer Herzlichkeit und
Gastfreundlichkeit. Die Ikonenschreiberin Elisabeth Rieder aus Beilngries gehört zu den
ganz besonders treuen Freunden des Hauses. Sie hat zum einen zahlreiche Ikonen geschaffen,
die die Hauskapelle des Collegium Orientale zieren und dort täglich im Gottesdienst
verehrt werden. Zum anderen unterrichtet sie die Kollegiaten in regelmäßig stattfindenden
Ikonenmalkursen. So ist bei einem Besuch im Frühjahr des vergangenen Jahres beim
gemeinsamen Austausch der Wunsch nach einer Heilig-Rock-Ikone geboren worden.

Für die Spiritualität der orientalischen Kirchen, insbesondere für die Kirchen byzantinischer
Tradition, sind Ikonen von zentraler Bedeutung. In der Alten Kirche wurde die Frage der
Ikonenverehrung unterschiedlich beurteilt. Im 8. und 9. Jh. spitzte sich schließlich die
Lage derart zu, dass diese Jahrhunderte als Zeit des großen Bilderstreits in die Geschichte
eingingen. Während bereits das II. Konzil von Nicäa (787) die Ikonenverehrung offiziell
bestätigte, brachte erst die 843 von Theodora II., der Ehefrau des byzantinischen Kaisers
Theophilos, einberufene Synode in Konstantinopel der Bilderfrömmigkeit den Durchbruch.
Dabei wurde argumentiert, dass insbesondere die menschliche Natur Jesu seine Darstellung
rechtfertige, dass es nicht um die Anbetung der Ikone, sondern um die rechte Verehrung
dessen gehe, der auf ihr dargestellt ist, insofern – platonisch gedacht – das Abbild immer
Anteil am Wesen des Urbildes habe und mit ihm wesensgleich sei. Im Laufe der Zeit
entwickelte sich daraus eine eigene Ikonentheologie. Immer geht es darum, das Urbild im
Abbild tiefer zu erkennen und dem Menschen eine Begegnung mit Gott zu ermöglichen. Die
Ikone hat insofern einen quasisakramentalen Charakter, als sie das Dargestellte den Gläubigen
vergegenwärtigen möchte. Pavel Florenskij beschreibt die Ikonostase der byzantinischen
Kirchen zutreffend als einen „Grenzort“, da es in der Liturgie um die Betrachtung des
Geheimnisses geht, wie dem gläubigen Menschen inmitten der sichtbaren Welt, in der wir
leben, gleichsam ein Fenster geöffnet wird, durch das hindurch uns im Glauben ein Blick in
die unsichtbare Welt Gottes gestattet wird. Die byzantinische Liturgie meditiert, ja umkreist
auf eine fast schon als spielerisch zu erlebende Weise, in der Sache jedoch in tiefstem Ernst

und hingebungsvoller Verehrung Gottes, genau dieses Geheimnis und tastet sich heran an den
Ort, an dem Mensch und Gott sich im Mysterium begegnen. In diesem Sinne sagt Florenskij
zutreffend: „Christliche Existenz ereignet sich an der Grenze zwischen den Welten.“

Ob man selbst einen Zugang zu dieser Art von Frömmigkeit finden kann, kann im Letzten
nur jeder Einzelne für sich beantworten. Doch die Erfahrung zeigt: In ihrer Zeitlosigkeit
vermögen Ikonen auf ihre Weise zu allen Zeiten zeitgemäß zu sein. Gerade spirituelle
Aufbrüche wie etwa die Gemeinschaft von Taizé hat den besonderen Wert der Ikonen
erkannt, auch um junge Menschen zur meditativen Sammlung vor dem Geheimnis des
menschgewordenen und menschenfreundlichen Gottes einzuladen und so in der Stille
der Betrachtung und auf sehr einfühlsame Weise zum Glauben zu führen. Ikonen sind
abgeschriebenes Evangelium, Verkündigung der Heiligen Schrift in Farbe, bei der die
Bildsprache entfaltet, was Worte allein nicht vermögen.

Elisabeth Rieder, für die das Ikonenmalen zutiefst der eigenen religiösen Motivation
entspringt, drückt dies selbst so aus: „Ikonen sind bildhafter Ausdruck gelebten Glaubens,
eine Botschaft in Farbe und Licht. Aus der Ikone spricht die Ruhe des Malens, des
Schweigens und Innehaltens vor Gott.“ Die Ikonen von Elisabeth Rieder sind Unikate, sind
Präsenz, nur für den Auftraggeber gemalt und vom gemeinsamen und gegenseitigen Gebet
getragen. So ist die neu geschaffene Trierer Heilig-Rock-Ikone dem wochenlangen Gebet
für die Trierer Kirche und mit den nach Trier pilgernden Wallfahrern, ihren Nöten und ihrer
Gottessuche entsprungen. Sie will in der Stille und im Original im Trierer Dom im Gebet
betrachtet werden und den Glauben des Bistums Trier im Jahr der Heilig-Rock-Wallfahrt
2012 vergegenwärtigen.

Als ausgewiesene Meisterin der Ikonenmalkunst hat Elisabeth Rieder auf der Grundlage
verschiedener Ideen das Konzept einer Ikone entworfen, welche in dieser Weise ein echtes
Unikat darstellt. In der Mitte ist die Reliquie des Heiligen Rockes zu sehen: dunkelrot, groß,
wie sich die Tunika Christi den Gläubigen heute in Trier darbietet; darauf kleiner und weiß –
als Zeichen dafür, dass sich inmitten des Tuchreliquiars aus den Stoffschichten der
verschiedenen Jahrhunderte die eigentliche Reliquie verbirgt – das helle, wollene
Untergewand des Herrn. Dieses entspricht in seiner Größe der Figur des Gekreuzigten, der
sich über der Darstellung des heiligen Rockes erhebt. Im oberen Bereich flankieren die beiden
in der Ikonenmalerei sehr bekannten Darstellungen der Taufe Jesu und seiner Verklärung den
Gekreuzigten. Mit den Worten aus dem Galaterbrief beten die Kirchen byzantinischer
Tradition an Weihnachten, Epiphanie und Ostern: „Die ihr auf Christus seid getauft, ihr habt
Christus angezogen! Alleluja!“ Oder, wie es alte georgische Texte zur Verehrung des
Leibrocks Christi in poetischer Sprache sagen, dass er durch seinen Heiligen Rock – durch
das Gewand seiner Menschlichkeit – unsere Nacktheit auf geheimnisvolle Weise in
Barmherzigkeit gehüllt hat. Einer der Jünger hält dem Herrn bereits seinen Leibrock bereit.
Und die weiß erstrahlenden Kleider auf dem Berg der Verklärung verbinden sich in der
östlichen Tradition mit dem „unerschaffenen Taborlicht“ und haben eine ganz besondere
Bedeutung, da sie im Sinne einer Visio mystica von der Möglichkeit sprechen, im Glauben
das Geheimnis der Auferstehung zu schauen. Im linken Bereich darunter ist eine weitere,
allerdings seltener anzutreffende biblische Darstellung zu sehen, die Heilung der blutflüssigen
Frau (Mk 5,25–34), die geheilt wurde, als sie, vom Glauben erfüllt, das Gewand Jesu
berührte. Gegenüber die Darstellung des legendarischen Berichtes, dass die Gottesmutter
Maria das Gewand Jesu selbst gewebt habe. Dieses Bildmotiv hat Frau Rieder aufgrund der
Trierer Überlieferung eigens für diese Ikone entwickelt. Den Heiligen Rock selbst flankieren
die hl. Helena, die ihn nach Trier gebracht hat, und der hl. Kirchenvater Athanasius – hier
dargestellt in bischöflichen Gewändern –, der im 4. Jh. in Trier im Exil weilte und dem die

orientalische Kapelle des Domes direkt unterhalb der Heiligtumskammer geweiht ist. Im
unteren Bereich sind die Soldaten zu sehen, die um den Heiligen Rock würfeln. In der
byzantinischen Ikonographie ist diese Darstellung selten. Vorbild waren hier verschiedene
Darstellungen aus Klöstern des Berges Athos, allerdings mit der Variation, dass die Vierzahl
der Soldaten (anstatt drei Soldaten) als sprechendes Symbol der Universalität gewählt wurde.
So vereint die Ikone biblische und legendarische Elemente mit Trierer Traditionen und
bündelt in der Bildsprache byzantinische Ikonographie ganz wesentliche Aspekte von dem,
was man in Trier im Jahr der Wallfahrt 2012 mit dem Heiligen Rock verbindet. Die Ikone lädt
ein zur Betrachtung biblischer Ereignisse und zum Gebet um die Einheit der Kirche.

Das Trierer Domkapitel hat die Idee einer Heilig-Rock-Ikone freudig aufgegriffen,
seinerseits geprüft, durch verschiedene Gestaltungsideen vervollkommnet und dann die
Ikone in ihrer jetzigen Gestalt in Auftrag gegeben. Sie wurde zu großen Teilen während der
Wallfahrt selbst geschrieben und wird im Rahmen der Wallfahrt in den Besitz der Hohen
Domkirche Trier übergehen. Sie ist ein wunderbares Zeichen für die Verbindung, die der
Heilige Rock zwischen Ost- und Westkirche herzustellen vermag und unterstreicht ihrerseits,
wie viele Gläubige der verschiedenen orientalischen Kirchen bereits in den ersten beiden
Wallfahrtswochen dem Ruf nach Trier und dem Leitwort der Wallfahrt gefolgt sind: „und
führe zusammen, was getrennt ist.“ Eisabeth Rieder weilte zusammen mit den Priestern und
Kollegiaten des Collegium Orientale Eichstätt vom 4.–7. Mai zur Heilig-Rock-Wallfahrt in
Trier.