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04.04.2021

Beschützer Mariens Die Rolle des hl. Joseph in der Tradition, Spiritualität und Theologie der Ostkirchen

Die Verehrung des heiligen Josefs in den östlich-katholischen und byzantinisch-orthodoxen Kirchen findet ihren Höhepunkt – wie es nach dem Wortlaut der Evangelien zu erwarten ist – in der Weihnachtszeit. Neben frommen Volksliedern und einer Andacht (Moleben) werden dem Nährvater des Heilandes vor allem liturgische Texte am Sonntag nach der Geburt Christi gewidmet, an dem der heiligen Verwandten Jesu aus dem Geschlecht Davids gedacht wird. In einer Vesperstichire vom zweiten Weihnachtstag, der bei den griechisch-katholischen Ukrainern als Synaxe der Gottesmutter und ihres keuschen Bräutigams gefeiert wird, heißt es: „Josef, Sohn Davids! Du wurdest aber nicht eines solchen Ruhmes Davids wegen gewürdigt, wie David deinetwegen. Deshalb rufen wir mit tiefster Ehrerbietung unseres Herzens zu Dir: Sei gegrüßt, heller Ruhm des Gottesahnes David!“

Laut dem alten Grundsatz: lex orandi – lex credendi findet der lebendige Glaube der Kirche seinen Ausdruck im Beten. Um die reichen Facetten der ostkirchlichen Frömmigkeit zum heiligen Josef zu ermitteln, lohnt es sich, die Aufmerksamkeit einem wertvollen Gebet, dem Akathistos zu Ehren dieses Heiligen, zu schenken (deutscher Text: www.heilig-blut.com/index.php. Inhaltlich orientiert es sich am Matthäusevangelium und nur bei der Erwähnung der Namensgebung und der Darstellung Jesu im Tempel wird auf Lk 2,21–40 Bezug genommen. Im Unterschied dazu folgt der viel bekanntere Hymnos Akathistos an die Muttergottes (aus dem frühen 7. Jh.) hauptsächlich dem Evangelium nach Lukas. Dies ist umso mehr verständlich, als das erste Evangelium eher die väterliche Sicht der Kindheit Jesu mit den Träumen Josefs und der riskanten Flucht nach Ägypten vertritt, während das Lukasevangelium mehr die Erfahrungen und Gefühle Marias festhält, wie etwa bei der Verkündigung, dem Besuch bei Elisabeth und der Huldigung der Hirten in Bethlehem.

Wie andere Dichtungen dieser Art, besteht der Josefsakathistos aus 24 Strophen: zwölf kurzen und zwölf längeren, die abwechselnd nacheinander folgen. Die kurzen Strophen werden in der slawischen Tradition als „Kondakien“ bezeichnet, die umfangreicheren heißen „Iken“ und enthalten je ein Dutzend einprägsamer Anrufungen an den heiligen Josef, die mit demselben Gruß beginnen. Die vielfältige Bedeutung dieses Grußes, der auf die Worte des Erzengels Gabriel an Maria aus Lk 1,28 rekurriert, lässt sich etwa an seinen Übersetzungen ins Syrisch-Aramäische (schlom loch): „Friede sei mit Dir!“, sowie ins Griechische (chaire), Lateinische (ave) und Kirchenslawische (radujsja) erkennen: „Sei gegrüßt!“ – „Freue Dich!“. Meist beinhalten die darauf angehängten Formulierungen nicht nur die persönlichen Züge Josefs, sondern sie auch wichtige theologische Aussagen. So ist es bei der Begrüßung: „Freue Dich, Du stiller Joseph, weil Du die Erde geerbt hast“ (Ikos 10) der Fall, die den Bräutigam Mariens als den richtigen Adressaten der Worte Christi erweist: „Selig die Sanften, denn sie werden die Erde erben“ (Mt 5,5).

Eine aufmerksame Lektüre solcher litaneiartigen Anrufungen hilft die Demut als das zentrale Merkmal zu entdecken, das die Gestalt Josefs mit seiner jungfräulichen Braut verbindet. Denn er ist ein „stiller Diener der Heiligen Dreifaltigkeit“ (Ikos 9), was genau der dienstbereiten Antwort Marias auf die Worte Gabriels entspricht: „Siehe ich bin die Magd des Herrn“. Daher werden ihn „preisen alle Völker“ (Ikos 12), was die Muttergottes im Magnifikat auf sich selbst bezieht. Die Anreden: „wahrhaftig seliger Mann“ (Ikos 4), „Du bist nicht den Weg der Sünde gegangen“ (Ikos 2), „Gesegneter, welcher auf Gottes Wegen wandelt“ (Ikos 7) sind hingegen Anspielungen auf den gerechten Protagonisten von Ps 1. Dies besagt, dass das Leben des heiligen Josef, der die Weisung Gottes erfüllt hat, als Programm und Inbegriff der gesamten biblischen Spiritualität gilt.

Die Demut Josefs und nicht zuletzt sein Titel „Diener Gottes“ verweisen unmissverständlich auf Mose (vgl. Jos 1,1), dem Bescheidensten aller Menschen (vgl. Num 12,3), dem Gott seine Geheimnisse offenbarte (vgl. Sir 3,19), sodass auch er begrüßt wird: „der Du in das unergründliche Geheimnis eingeweiht wurdest“ (Ikos 6). Eine derartige alttestamentlich-typologische Anspielung soll hier nicht verwundern, denn sie ist bereits im Neuen Testament grundgelegt, wo das von Pharao verfolgte und in Ägypten aufwachsende Kind Mose als Prototyp des Jesuskindleins dient. Demgemäß wird auch die Rückkehr der Heiligen Familie nach Israel mit dem Auszug des Volkes Gottes aus Ägypten verglichen: „eine Feuersäule zeigt Dir den Weg“, „das Brot des Lebens wandert mit Dir“ und „Du trinkst das Wasser der Unsterblichkeit“ (Ikos 5), wobei an das Manna und das Wasser aus dem Felsen zu denken ist (vgl. 1 Kor 10,1–4).

Der Akathistos enthält zumindest zwei andere Beispiele der typologischen Auslegung, von der die östlichen Kirchenväter so oft Gebrauch gemacht hatten. Zum einen handelt es sich um den Patriarchen Abraham, der für Josef das Vorbild der vertrauensvollen Hingabe an Gott diente: „Du bist ohne Zögern den Weg ins Unbekannte gegangen“, „Du hast den Glauben von Abraham bestätigt“ (Ikos 4), „Du hast nie gezögert, die Gebote zu erfüllen“ (Ikos 11). Wie dieser (vgl. Jes 41,8) wird auch Josef von Nazareth als: „der geliebte Freund des einzigen Gottes“ (Ikos 9) genannt. Zum anderen wird der keusche Josef mit dem Cherub im Allerheiligsten verglichen: „reiner Bräutigam im Schrein des Allmächtigen“ (Ikos 12), weil die seiner Obhut anvertraute Jungfrau die neue Bundeslade ist, die den Sohn Gottes in sich getragen hat (vgl. 2 Sam 6,1–11 und Lk 1,39–56; Offb 11,19–12,2). Als Mann wahrhaft cherubinischer Reinheit ist Josef folglich „Beschützer der Heiligsten aller Heiligen“ (Ikos 2) und „Engel, welcher das Tor zum Paradies bewacht“ (Ikos 7), wobei an den Behüter des paradiesischen Lebensbaumes in Gen 3,24 zu denken ist.

Der gleichen Schöpfungsthematik sind die hochpoetischen Begrüßungen an Josef gewidmet: „Du hast Den gekleidet, dessen Kleidung Licht ist“ (Ikos 12), „da Du dem Schöpfer den Namen gegeben hast“ (Ikos 7), bei denen es sich um den herrlichen Schöpfungspsalm (Ps 104,2) und die Namensgebung durch Adam in Gen 2,19–20 handelt. Ähnliche paradoxe Anreden, die als typische Merkmale ostkirchlicher Kirchendichtung gelten, sind auch in anderen Strophen des Josefsakathistos anzutreffen: „Du hast den Unsterblichen vom Tode errettet“ (Ikos 4), „da Du Macht über den Herrscher erhalten hast“ (Ikos 7), „Du hast den Allmächtigen in der Wiege geschaukelt“ (Ikos 8) und „Du hast Deinen Schöpfer und Gott das Handwerk gelehrt“ (Ikos 10). Die scheinbare Widersprüchlichkeit dieser Aussagen entspricht einerseits der erstaunlichen Würde des heiligen Josef als Beschützer der Gottesgebärerin Maria sowie als Nährvater Jesu, „welcher den Erlöser der Welt erzogen hat“ (Kondakion 13). Andererseits zeigt sie, dass sich die ostkirchliche Josefsverehrung niemals verselbständigt, sondern wie die Marienverehrung – und jede wahre Heiligenverehrung – konsequent auf Christus verweist. Denn dadurch, dass der heilige Josef „in dem Kinde Gott erkannte“ (Kondakion 12) und „den Unberührbaren liebkost“ hat (Ikos 8), hat er zugleich bewiesen, „dass das Wort Fleisch geworden ist“ (Ikos 7).

Aus dem bisher Gesagten wird der hohe poetische und theologische Wert des Akathistos zum heiligen Josef ersichtlich, der mit einem enormen Potential für die Pastoral einhergeht. Ein Zeichen der Wertschätzung ist der Umstand, dass die Kirche jenen, die dieses Gebet im Josefsjahr verrichten, unter den gewöhnlichen Bedingungen den vollkommenen Ablass gewährt. Auch wenn der Bräutigam der seligen Jungfrau Maria an Heiligkeit sogar die höchsten Engel, die Seraphim, überragt und deshalb als „heiliger Patron der Mönche“ (Ikos 12) gilt, bleibt er doch „würdiges Oberhaupt der Heiligen Familie (Ikos 4) und „weiser Berater der Eheleute“ (Ikos 12). Darum endet der Akathistos mit der Bitte: „Nimm unsere heutigen Gebete an und bewahre uns vor jedem Übel, bete für uns zu Jesus Christus“ (Kondakion 13). Und das wird der heilige Josef ohne Zweifel all denen gewähren, die zu ihm mit Vertrauen eilen.

Dr. Miroslaw Lopuch

(Zuerst veröffentlicht in: Die Tagespost, 1. April 2021, 36)