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02.11.2016

Priester – Brückenbauer unter den Menschen und zwischen Gott und den Menschen

Interview mit dem H.H. Bischof Dr. Volodymyr Hrutsa, griechisch-katholischer Weihbischof von Lviv (Lemberg) / Ukraine; das Interview führte Rektor Oleksandr Petrynko

 

 

Petrynko: Lieber Herr Weihbischof Volodymyr, könnten Sie sich uns bitte kurz vorstellen, besonders Ihren Weg in den Redemptoristenorden?

Bischof: Ich bin 1976 in einer kleinen Stadt Dobromyl in der Ukraine, sie liegt an der polnischen Grenze, geboren. Ich bin aufgewachsen als Kind meiner Zeit, der damaligen Zeit in der Sowjetukraine. Unsere griechisch-katholische Kirche und insgesamt das kirchliche Leben wurden in der Ukraine verfolgt. Meine Familie war mit der Untergrundkirche eng verbunden. Ich bin im Grunde genommen in der Nähe eines Basilianerklosters aufgewachsen; die Basilianer haben in Dobromyl eine lange Tradition, in diesem Kloster absolvierte auch der große Metropolit Andrej Sheptytskyy sein Noviziat. Die Berufung zum Ordensleben ist für mich persönlich auch ein Geheimnis, das ich bis zum Ende meines Lebens nur stückweise entdecken werde. Ganz bewusst kann ich mich an die ersten Begegnungen mit den Redemptoristen erinnern, die erst nach der Wende möglich waren und die mich begeisterten. Daraus ergab sich für mich der konkrete Weg des Eintritts ins Redemptoristenkloster. Zum damaligen Zeitpunkt hat man ehrlich gesagt unter den Ordensgemeinschaften, den Charismen und besonderen Pastoral- oder Spiritualitätsansichten noch nicht richtig unterschieden. Man begegnete den begeisterten Mönchsmenschen und folgte ihnen. Mich hat Gott zur Redemptoristenfamilie gebracht.

Die Redemptoristen kamen bereits vor hundert Jahren aus Belgien in die Ukraine. Unser Metropolit hat seinerzeit Canada besucht und hat die großartige Arbeit der Redemptoristen dort gesehen, die sie als Römisch-Katholische für unsere Gläubigen leisteten. Es waren belgische Redemptoristen, die die Ukrainer in Canada seelsorglich betreuten. Dies ging auf die Initiative der belgischen Redemptoristen in Canada selber zurück. Sie sahen, dass es plötzlich eine Migrationswelle von katholischen Ukrainern gibt, für die der lateinische Ritus fremd war. Sie nahmen einige Herausforderungen auf sich: Sie haben die ukrainische Sprache gelernt und sich den östlichen Ritus im Gottesdienst angeeignet. Sie haben sich auf den byzantinischen Ritus umgestellt, um den Menschen näher zu sein und ihnen in der Pastoral zur Verfügung zu stehen. Der Metropolit war von ihrer mühevollen und segensreichen Arbeit so überzeugt, dass er solche Missionare auch in der Ukraine haben wollte. Er hat sie in die Ukraine eingeladen und einen ukrainischen Zweig der Redemptoristen im August 1913 begründet. Der Ursprung der Redemptoristen als weltweiten Orden geht ja auf das Jahr 1732, auf den heiligen Alfons, den großen Moraltheologen der Kirche, zurück.  

Zur Zeit meines Eintritts waren die östlichen Redemptoristen eine gut ausgebildete und verbreitete ostkirchliche Mönchgemeinschaft. Deshalb konnte ich bei ihnen sehr schnell Anschluss finden und bin Redemptorist geworden. Bei Fragen nach der Berufung denke ich immer an die Berufungsgeschichten in Markus-Evangelium. Und dort heißt es, Jesus habe diejenigen berufen, die er wollte. Wenn er es will, dann mache ich halt mit.

Petrynko: Woher kommt es, dass Sie so gut Deutsch sprechen?

Bischof: Die Antwort ist ganz einfach. Ich war zehn Jahre in Österreich. Ich habe dort mein Studium in Innsbruck absolviert, mein Grundstudium und meine Promotion in der systematischen Theologie. Dazwischen lag ein Pastoraljahr in der Ukraine, aus dem auch das Thema meiner Dissertation erwachsen ist, nämlich über das Sakrament der Beichte, unter anderem aus ostkirchlicher Sicht. Mein Studienaufenthalt in Tirol war immer mit der Pastoral verbunden. Deshalb hat es wahrscheinlich auch ein wenig länger gedauert. Ich war Seelsorger an der Herz-Jesu-Kirche in Innsbruck und somit als biritueller Priester im römisch-katholischen Ritus im Einsatz. Dort haben wir unter anderem eine sehr schöne Einrichtung, die „Gesprächsoase“ hieß. Dies war eine kirchliche Einrichtung, eigentlich ein Beratungszentrum für Menschen in seelischer Not. Wir boten einen Raum zu Gespräch, Begegnung und Beratung bzw. Beichte an. Das Angebot war wirklich gefragt. Normalerweise waren zwei Fachleute im Einsatz, darunter auch ein Priester, wenn es um eine Beichte ging. Jeder durfte zu uns ohne Anmeldung kommen, zum geistlichen Gespräch oder auch einfach um sich über die Kirche und das Christentum zu erkundigen. Ein Jahr lang habe ich auch die Leitung dieses Zentrums übernommen. Auf diese Weise stand ich inmitten des Lebens der Menschen. Und wenn man viel mit Menschen zu tun hat, dann lernt und spricht man ihre deutsche Muttersprache immer besser. So bin ich zur deutschen Sprache gekommen. Ich erfahre es als bereichernd und profitiere von den Kenntnissen dieser Sprache auch jetzt in der Ukraine. Bereits mehrmals durfte ich ukrainisch-deutsche Ehepaare trauen, und zwar im byzantinischen Ritus in beiden Sprachen.

Petrynko: Welche Gedanken hatten Sie, als Sie die Nachricht erhielten, dass Sie für das bischöfliche Amt als Weihbischof in Lviv, der wichtigsten und bedeutendsten Eparchie der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, gewählt worden sind?

Bischof: Zuerst muss man sagen, dass es in einer solchen Situation überhaupt nicht einfach zu denken war. Die Nachricht habe ich telefonisch erfahren, aus der Patriarchalkurie. Ich war zunächst sehr vorsichtig, ob dies wirklich stimmt und ob nicht meine Mitbrüder sich mit mir einen Scherz erlauben; einen solchen Fall hatten wir bei uns im Orden schon einmal zur Erheiterung von allen Betroffenen. Es war nicht viel Zeit zum Überlegen. Die Entscheidung meinerseits musste sehr schnell fallen. Ich habe mein Gewissen erforscht und natürlich meine Gedanken und meine Sorgen dem Oberhaupt unserer Kirche, seiner Seligkeit Sviatoslav, mitgeteilt. Im Gebet ausgetragen stand am Ende der Gedanke, ich habe keinen gewichtigen Grund, um Nein zu sagen. Auf der anderen Seite ist dies die Wahl der Kirche. Ich wurde also gebeten, das Amt zu übernehmen und habe mich darum nie bemüht oder in meinem Leben danach gestrebt, das kann ich ehrlichen Herzens sagen. Mit meinem Ja habe ich mich in den Dienst der Kirche hergegeben. Mein bischöfliches Amt verstehe ich auch und vor allem als Dienst.

Petrynko: Was sind Ihre konkreten Aufgaben in der Erzdiözese Lviv / Lemberg? Es ist ja noch ein anderer Weihbischof, Venedykt, da, der uns in Eichstätt bereits öfter besuchte?

Bischof: Das stimmt: Wir sind zu zweit als Weihbischöfe in Lviv. Es gibt genügend Aufgaben für uns. Ich bin u. a. verantwortlich für die Ordensgemeinschaften und Klöster in unserer Erzdiözese, wovon es sehr viele gibt. Seit Kurzem bin ich auch verantwortlich für das Personal in der Kurie bzw. dem Ordinariat. Außerdem stehe ich unserem Erzbischof zur Verfügung, für alle Aufgaben, die wir untereinander teilen und die er an mich delegiert. Als Erstes muss ich jetzt die Erzdiözese kennenlernen. Und dies geschieht bekanntlich am besten durch Begegnung und erfordert eine gewisse Zeit. Bei Gesprächen und Begegnungen soll ich als Erstes gut zuhören. Ich möchte zunächst ein hörender Bischof sein, um möglichst tief in die Wirklichkeit der Eparchie einzutauchen. Erst dann kann ich helfen, wo es mir möglich sein wird. Denn ich kann meine Hilfe nur dann anbieten, wenn ich die Menschen gehört und ihre Nöte verstanden habe.

Petrynko: Was wünschen Sie sich von Ihren jetzigen und künftigen Priestern, die zum Teil auch bei uns in Eichstätt im Collegium Orientale ausgebildet werden?

Bischof: Ich verwende in den Gesprächen mit den Studenten sehr oft das Bild einer Tasche, zumindest schwebt mir dieses Bild vor Augen. Eine Tasche hat eine doppelte Funktion. In eine Tasche können wir etwas hineinlegen, wir können sie füllen. Auf der anderen Seite erlaubt uns eine gut versorgte Tasche, auf sie zurückzugreifen und aus ihr etwas zur gegebenen Zeit herauszuholen. Wenn wir auf Reisen gehen, packen wir die Dinge ein, die wir für notwendig, mitunter auch weniger wichtig betrachten, und sind froh, wenn wir sie am Reiseziel aus dem Gepäck herausholen können. Die Zeit der Ausbildung und des Studiums ist die wertvolle Zeit, in der der Seminarist oder Priester seine Tasche, man kann sagen seine Vorratstasche, füllen kann. Denn mit dem späteren Einsatz kommt die Zeit, wenn die Tasche aufgetan werden soll und muss. Dann ist es schön, wenn sie nicht ganz leer ist. Deshalb wünsche ich mir, dass die Studenten ihre Studienzeit möglichst effektiv verbringen, sich vom Lernen, Lesen und vor allem von den Begegnungen mit den anderen bereichern, ihre Tasche möglichst gut füllen. Neben der geistlichen Formation, die für mich sehr wichtig scheint, ist das Studium und die menschliche Reifung in der Gemeinschaft etwas absolut unabdingbares für einen guten künftigen Priester.

Petrynko: Was halten oder erwarten Sie von solchen internationalen, interrituellen und ökumenisch offenen Priesterseminaren wie unserem Collegium Orientale?

Bischof: Hier im Collegium Orientale hat man als Student wirklich eine wunderbare Chance aus der kirchlichen Vielfalt zu schöpfen und als Persönlichkeit zu profitieren. Niemand von uns weiß, wo und wie uns die Gemeinschaft der Kirche brauchen wird. Es geht in erster Linie nicht um die persönliche Bereicherung, nicht nur um das Kennenlernen für sich selbst. Es geht um die Befähigung, mit anderen Meinungen und mit anderen Formen der Spiritualität zu leben, um den Menschen an allen Orten und unter verschiedenen Umständen dienen zu können, natürlich unter der Wahrung der eigenen christusbezogenen Identität. Das ist die eigentliche Aufgabe eines Priesters: Er soll selber in einer tiefen Christusbeziehung leben und dadurch für die anderen Vorbild sein, was auch immer ihm und den Menschen an Leid und Not widerfährt. Darin sollen unsere Priesteramtskandidaten gebildet werden.

Sehr viele Priester, vor allem jüngere Priester, haben mir gesagt, sie wollen in der Gestalt des Bischofs den Vater sehen, in ihm die väterliche Sorge erfahren und finden. Meinerseits sagte ich darauf: Ich möchte, dass unsere Priester artige Kinder bzw. Söhne sind. Die Erfüllung dieser Erwartung beruht auf dem gegenseitigen Entgegenkommen und auch der Bereitschaft, einander anzunehmen.

Mir kommt das Bild von der Begegnung zwischen Jesus und der Samariterin in den Sinn. Jesus begegnete ihr auf ihrer Ebene. Er hat ihr keine Vorwürfe gemacht, er hat ihre Sprache gesprochen, er ist auf ihre Wünsche eingegangen. Er begann nicht davon, sie zu verurteilen, sie zu bekehren, weil sie so schlecht war und eine große Sünderin. Er hat durch das verständliche Gespräch ihr Vertrauen und auf diese Weise auch sie für sein Reich gewonnen. Er hat dadurch ihr Leben verwandelt. Das ist das große Ziel, das auch durch das Collegium Orientale erreicht werden kann. Bei der ganzen Internationalität hier im Kolleg, der katholischen Buntheit und der Einheit in der Vielfalt, sollen die Studenten vor allem die Sprache, die Denkweise, die Wünsche und die Nöte der anderen lernen. So wie es Jesus im Fall der Samariterin machte. Wenn man das gelernt hat, sich nämlich in die Situation der anders denkenden und lebenden Menschen zu versetzen, auch unter den Christen, dann ist man unter den Menschen und zwischen Gott und den Menschen zum Brückenbauer geworden. Dann kann die Zeit in Eichstätt im Collegium Orientale als gut genutzt betrachtet werden.

Ein herzliches Vergelt's Gott!