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11.04.2022

Ukrainisches „Te Deum". „Großer und allmächtiger Gott, beschütze die Ukraine“

(ik) Als ich vor etwa 14 Jahren am Ende einer römisch-katholischen Messe im Eichstätter Dom zum ersten Mal den feierlichen Gesang „Te Deum laudamus: Großer Gott, wir loben Dich“ gehört und mitgesungen habe, erinnerte ich mich sogleich an ein Lied aus meiner Heimat, der Ukraine, das ebenfalls nicht nur am Ende der Hl. Liturgie gesungen wird, sondern auch mit ähnlichen Worten beginnt: Großer und allmächtiger Gott.

Jetzt, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wird dieses liturgische Lied, das in der Ukraine als geistlicher Hymnus bekannt ist, weltweit in Kirchen, auf Theaterbühnen und auf öffentlichen Plätzen gebetet und gesungen. Wie das Lied „Großer Gott, wir loben Dich“, das vom Regens des Priesterseminars in Breslau Ignaz Franz im Jahre 1768 gedichtet und zum ökumenischen Kirchenlied, ja zum geistlichen Hymnus wurde, führt die Entstehung des ukrainischen Gesangs ebenfalls in ein Priesterseminar und zwar nach Lviv/Lemberg. Um die geistliche Tiefe und Melodie des unten angeführten Textes besser verstehen zu können, lohnt es sich seine Entstehungsgeschichte zu betrachten.

Diese kann man mit Hilfe einiger sogenannter W-Fragen gut darstellen. Wer war der Autor? Wann und unter welchen Umständen entstand das Gebet, das bald vertont und als Meisterwerk angesehen wurde? Warum sind diese wenigen Worte zu einem Bekenntnis des Glaubens und Vertrauens geworden zu Dem, der selbst das Licht, die Wahrheit und die Weisheit ist? 

Der Autor des ukrainischen geistlichen Hymnus ist Oleksandr Konyskyj (*1836 in Chernihiv, †1900 in Kyiv), ukrainischer Anwalt, Journalist, Schriftsteller und Übersetzer, der damals unter dem russischen Kaisertum viel zu leiden hatte für seine öffentliche Tätigkeit, die Gründung ukrainischer Schulen und das Drucken ukrainischer Lehrbücher für Kinder, was ihm fast zehn Jahre Verbannung eingebracht hat. Als ein Riegel für alles Ukrainische wird später der Emser Erlass des russischen Zaren Alexander II. dienen, der 1876 in Bad Ems im Haus „Vier Türme“ unterzeichnet wurde und die Verbreitung von literarischem Schrifttum in ukrainischer Sprache im russischen Kaiserreich verbot und unter Strafe stellte.

Trotzdem gab Konyskyj sein Ukrainer-Sein nicht auf und pflegte weiterhin Kontakt mit der ukrainischen Elite in Galizien/Westukraine, damals k. u. k. Monarchie, in der die ukrainische Identität gefördert wurde. Er besuchte im Jahre 1884 das Lviver Priesterseminar aus Anlass eines Vortrags für die Studierenden. Aus demselben Seminar erhielt er ein Jahr später die Bitte, für ein geplantes Gesangbuch einen Gebetstext mit Vertonung zu verfassen. Da Konyskyj wie auch sein Freund, der Komponist Mykola Lysenko (†1912), keine ukrainischen Texte veröffentlichen durften (Emser Erlass), war das für die beiden eine willkommene Gelegenheit, dieser Bitte zu entsprechen. So entstand im März 1885 das Lied bzw. „Gebet“ («Молитвa»), wie Konyskyj und Lysenko ihr Werk „getauft“ hatten. Es wurde im Sommer desselben Jahres in Lviv publiziert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitete sich dieses Gebet sehr rasch im Volk und fand seine Würdigung nach jeder Hl. Liturgie, als ob es ein fester Bestandteil derselben wäre. Seit dem 24. Februar 2022 wird das „Gebet“ weltweit bei Friedensgebeten und Kundgebungen gesungen.

Um die letzte W-Frage beantworten zu können, genügt es meiner Ansicht nach den Text als Gebet zu sprechen.

„Großer und allmächtiger Gott, beschütze unsere Ukraine, segne sie mit Freiheit und Licht deiner heiligen Strahlen.

Mit Lernen und Wissen erleuchte uns, ihre Kinder. In reiner und ewiger Liebe lasst uns, o Herr, wachsen.

Wir beten, o allmächtiger Gott, beschütze unsere Ukraine, gib unserem Volk und Land all deine Güte und Gnade.

Segne uns mit Freiheit, segne uns mit Weisheit, führe in eine gütige Welt, segne uns, o Gott, mit Glück für immer und ewig“.

Ein kurzes Gebet für die Ukraine, ein Gebet für den Frieden, das mich immer noch an das erste „Te Deum laudamus“ in Eichstätter Dom erinnert, besonders an die drittletzte Strophe:

„Sieh dein Volk in Gnaden an, hilf uns, segne, Herr, dein Erbe; Leit es auf der rechten Bahn, dass der Feind es nicht verderbe. Führe es durch diese Zeit, nimm es auf in Ewigkeit“.

In dieser schlimmen Zeit, in der wir Ukrainer/innen im Kampf um Leben und Freiheit stehen, sind wir jedem Menschen dankbar, der uns mit diesem Gebet unterstützt.